Auf einem Schulhof in einer Flüchtlingssiedlung der Region Benishangul-Gumuz in Äthiopien zeichnen Kinder Kästchen in die trockene Erde. Jedes ist groß genug, dass eine Person darin stehen kann. Während jede und jeder seinen Platz in einem Kästchen einnimmt, fragt der Lehrer laut: "Was ist eine Sache, auf die ihr hofft?"

Die Kinder rufen die Antworten.

„Fussballprofi!"

„In Mathe besser werden!"

Nachdem alle ihre Hoffnung geäußert haben, hält der Lehrer, Herr Yesuf, einen leuchtend blauen Luftballon in die Höhe.

„In unserem Spiel symbolisiert dieser Luftballon die Hoffnung", sagt er und wirft den Ballon in die Luft. Die Kinder müssen gemeinsam versuchen, ihn in der Luft zu halten - ohne ihren Platz zu verlassen.

Das Spiel heißt „Hoffnung liegt in der Luft". Für Hayat, eine Schülerin der Klasse 4, steht der Ballon für viele Dinge: Sie möchte die Schule abschließen und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufrechterhalten.

Hayat ist einer von mehr als 4,51 Millionen Binnenvertriebenen in Äthiopien, die vor Konflikten und schwierigen Lebensbedingungen aus ihren Heimatregionen geflohen sind. Die Umwälzungen in Nachbarländern wie dem Sudan haben mehr als 880 000 Flüchtlinge und Asylsuchende über die Grenzen getrieben, was Äthiopien zum drittgrößten Aufnahmeland für Flüchtlinge in Afrika macht.

Hayat war gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen, aber sie wollte unbedingt weiter zur Schule gehen. Spiele halfen ihr dabei, den Lernstoff nachzuholen und wieder an sich zu glauben.

Hayat muss traumatische Erlebnisse verarbeiten

Hayat und ihre Schwester Nejat mussten aus ihrer Heimat im Distrikt Tongo fliehen. Sie kamen in ihrer Gastgeber-Gemeinde an, traumatisiert von der Erfahrung.

„Es war schrecklich", sagt Nejat. Die Mädchen waren mit ihrer Familie tagelang mit dem Motorrad und zu Fuß unterwegs. „Hayat hat Gewalt und Tod erlebt."

Die Mädchen haben nicht nur ihr Zuhause zurückgelassen, sondern auch ihr Leben - die Schule. Hayat hatte sich bereits auf ihre Abschlussprüfungen gefreut und in die nächste Klasse zu kommen. Doch dieser Traum zerplatzte, als sie ihr Zuhause verließ.

Hayat setzt sich für ihr Recht auf Bildung ein

Hayat wollte unbedingt weiter zur Schule gehen. Also ging sie in eine Schule in ihrer Gastgeber-Gemeinde und erzählte dem Schulleiter, Herrn Yesuf, ihre Geschichte.

„Sie insistierte, eine Aufnahmeprüfung zu machen", sagt er. „Ich war erstaunt, wie entschlossen sie war."

Herr Yesuf ließ Hayat die Prüfung machen und unterstützte sie dabei, wieder ganztags zur Schule zu gehen. Durch das Programm erhielt Hayat Zugang zu Schulmaterial und Hygieneartikeln für die Menstruation. Spiele im Unterricht halfen ihr, Lernrückstände aufzuholen, Freunde zu finden und ihre traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.

Herr Yesuf und die Lehrkräfte der Schule wurden von Right To Play darin geschult, wie man spielbasierte Lernmethoden und psychosoziale Spiele einsetzt, um auf die Bedürfnisse vertriebener Kinder eingeht, um sie zu integrieren und in ihrer sozialen, emotionalen und akademischen Entwicklung zu unterstützen.

Die Schulung wurde im Rahmen des von der LEGO Stiftung finanzierten Programms Building Back Better durchgeführt, das die Ausbildung und das psychosoziale Wohlbefinden von Kindern in Krisensituationen stärken soll. In Äthiopien wird Building Back Better in Benishangul-Gumuz durchgeführt, wo mehr als 500.000 Binnenvertriebene und über 70.000 Geflüchtete aus den Nachbarländern Sudan und Südsudan leben.

International Day of Education 2024 - Ethiopia - Hayat - Web Image
Hayat in ihrer neuen Klasse.

AUSBILDUNG VON LEHRKräften

Viele der Spiele, die Hayat und ihre Mitschüler:innen spielen, stammen aus der Play Opportunities for Wellness and Education Resource (P.O.W.E.R.), einer Sammlung von 100 Open-Source-Spielen, die das psychosoziale Wohlbefinden und die ganzheitliche Entwicklung von Kindern fördern. Die Spiele wurden übersetzt und werden von 202 geschulten Lehrkräften zur Unterstützung von 11.574 Schüler:innen eingesetzt.

„Wir können praktisch sehen, wie die Kinder das Trauma, das sie erlitten haben, überwinden", sagt Projektleiter Abdulfata Musa. „Wir versuchen auch, Eltern dafür zu sensibilisieren, wie Spiele ihren Kindern helfen, Stress zu überwinden, den sie erleben."

P.O.W.E.R. enthält auch Aktivitäten zur Förderung von Kreativität, Konzentration, Lese- und Rechenfertigkeiten. Dies sind wichtige Hilfsmittel für Lehrer:innen, denn Untersuchungen zeigen, dass die schulischen Leistungen von Grundschüler:innen in Äthiopien hinter dem Niveau vor der Pandemie zurückbleiben.

Im Tsore-Flüchtlingslager in der äthiopischen Region Benishangul-Gumuz leben 43.000 Flüchtlinge. Die Kinder kommen aus anderen Teilen Äthiopiens und auch aus Nachbarländern. Der Zugang zu hochwertiger Bildung ist für die Kinder schwierig. Die Klassenräume sind klein und es fehlt an qualifizierten Lehrkräften. Das Video zeigt, wie Kinder wieder lernen und das Trauma der Vertreibung überwinden.

HOFFNUNG UND TRÄUME AM LEBEN ERHALTEN

Beim Spiel „Hoffnung liegt in der Luft" beginnt das Spiel jedes Mal von neuem, wenn der Ballon den Boden berührt. Jedes Mal können sich die Kinder selbst neuen Herausforderungen stellen. Sie können sich zum Beispiel ein Ziel setzen, wie viele aufeinanderfolgende Treffer sie erzielen müssen, bevor der Ballon fällt, oder ihre Felder neu anordnen- beispielsweise die Abstände zueinander vergrößern oder verringern. Wenn die Kinder bereit sind, die Abstände zu vergrößern, bedeutet es, dass sie Hoffnung haben, ihre Ziele zu erreichen.

Am Ende des Spiels leitet Herr Yesuf eine Diskussion über die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Spiel.

„Wie hast Du Dich gefühlt, als Du den Ballon in der Luft halten konntest?", fragt er. „Was kannst du in Deinem Alltag tun, um Dich hoffnungsvoll zu fühlen?"

Für Hayat ist es Hoffnung, jeden Tag zur Schule zu gehen. Ihr Lieblingsspiel heißt „Ich mag Mathe". Ähnlich wie bei Stein, Papier, Schere geht es darum, dass die Schüler:innen eine unterschiedliche Anzahl von Fingern zeigen und zusammenarbeiten, um die Gesamtzahlen in ihrem Kopf zu addieren.

„Das Lernen hier macht Spaß", sagt sie über ihre neue Schule. Ich bin froh, wenn wir spielen. Das entspannt mich und hilft mir, mich aufs Lernen zu konzentrieren.

Hayat träumt davon, eines Tages Ärztin zu werden - jemand, der anderen helfen kann, so wie ihre Lehrer:innen und ihre Gastgeber-Gemeinde ihr geholfen haben, ihr Trauma zu bewältigen, Zugehörigkeit zu finden und ihre Hoffnung nicht aufzugeben.

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Hayat beim Spiel „Ich mag Mathe".


P.O.W.E.R. wurde für den Einsatz in Äthiopien im Rahmen von Building Back Better angepasst, einer Initiative, die von 2022 bis 2023 eine Reihe neuer, spielbasierter Interventionen in Äthiopien, Libanon, Pakistan, Sierra Leone, Tansania und Uganda erproben will. Ermöglicht wurde dies durch die Unterstützung der LEGO Foundation.