DIE GEFAHR DES SCHULABBRUCHS

Eine Gruppe von Mädchen versammelt sich auf einer langen Bank unter einem Mangobaum in Yipelagu, einem Viertel im Norden Ghanas. Kurz später kommt eine Nachhilfelehrerin dazu und beginnt, eine Tasche voller Arbeitsbücher und bunter Lernmaterialien auszupacken. Martha, das älteste Mädchen in der Gruppe, beugt sich vor und flüstert aufgeregt, als die Tutorin mit der Mathematikstunde beginnt und die Gruppe durch Spiele und spielerische Übungen führt, die ihnen helfen sollen, die Lerninhalte zu behalten. Dies wird ihre erste Unterrichtsstunde sein, seit zuvor COVID-19 die Schulen in der ganzen Region mehr als zwei Monate geschlossen hatte.

Je länger die Schulschließungen andauerten, desto mehr gaben Martha und ihre Freunde die Hoffnung auf, jemals wieder in die Schule zurückkehren zu können. Ihre Eltern konnten es sich nicht leisten, mit ihrem Tagelöhnerlohn Nachhilfelehrer zu engagieren, und für die Mädchen gab es zu Hause nichts zu tun außer Hausarbeit. Martha wusste, dass ein älteres Mädchen aus ihrer Gemeinde vor der Pandemie die Schule abgebrochen hatte, um in Accra als Kayayei, eine Art „Trägerin“, Arbeit zu finden. Sie war neidisch darauf, dass das Mädchen über eigenes Geld verfügte und so zum Unterhalt ihrer Familie beitragen konnte. Frustriert und gelangweilt beschloss die Gruppe von Freunden, in die Stadt zu gehen und zu versuchen, Arbeit zu finden.

„ALS UNSERE SCHULEN WEGEN DER COVID-19 PANDEMIE GESCHLOSSEN WURDEN, WAREN WIR TRAURIG, WEIL WIR DACHTEN, WIR WÜRDEN NICHT MEHR ZURÜCKKEHREN. MEINE FREUNDE UND ICH PLANTEN, NACH ACCRA ZU REISEN UND ALS KAYAYEI ZU ARBEITEN, UM GELD FÜR UNS UND UNSERE FAMILIEN ZU VERDIENEN." – MARTHA

EIN RICHTUNGSWECHSEL AN DER BUSHALTESTELLE

Schätzungen zufolge arbeiten in Ghana mehr als 160 000 Kinder im schulpflichtigen Alter als Kayayei. In Großstädten wie Accra, Kumasi, Tamale, Sunyani und Takoradi verbringen die Mädchen ihre Tage damit, gegen ein geringes Entgelt schwere Lasten für Einkäufer und Händler zu tragen.

Bei den Mädchen, die als Kayayei arbeiten, handelt es sich häufig um Migrantinnen mit geringer Bildung. Sie nehmen diese Rolle an, um zu überleben. Die Schließung von Schulen und die durch COVID-19 verursachte finanzielle Belastung zwangen noch mehr Kinder, ihre Hoffnungen auf Bildung aufzugeben und als Kayayei zu arbeiten.

Martha und ihre Freunde packten ihre Jutetaschen und machten sich auf den Weg zur örtlichen Bushaltestelle, um in Accra Arbeit zu finden. Ein Lehrer namens Alhassan wurde auf sie aufmerksam und kam mit ihnen ins Gespräch. Alhassan, der im Rahmen des GREAT-Programms (Gender Responsive Education and Transformation) von Right To Play geschult wurde, wusste, wie man Kinder erkennt, bei denen die Gefahr besteht, dass sie in die Kinderarbeit abrutschen. Er wusste, dass die Mädchen, wenn sie die Schule jetzt abbrachen, vielleicht nie wieder zurückkehren würden. "Als ich erfuhr, was sie vorhatten, bat ich sie, mich zu ihren Eltern zu bringen", sagt Alhassan.

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Als die Pandemie ihre Schule schloss, dachten Marthas Freunde Abiba, Mariama und Georgina, dass sie nie wieder in den Klassenraum zurückkehren würden. Doch dank der kostenlosen Nachhilfestunden von Right To Play konnten sie auch während des Lockdowns ihre Mathematik- und Lesefähigkeiten verbessern.

Alhassan erzählte den Mädchen und ihren Eltern von dem ergänzenden Lernprogramm, das Right To Play anbietet. Das in fünf Distrikten in ganz Ghana aktive zusätzliche Lernprogramm wurde als Reaktion auf die Schulschließungen im März 2020 ins Leben gerufen. Mehr als 500 freiwillige Lehrer brachten den erfahrungsbasierten Lernansatz von Right To Play in die Häuser von mehr als 4.000 Kindern. Der kostenlose Unterricht zu Hause sollte den Kindern helfen, ihre Mathematik- und Lesefähigkeiten zu trainieren, damit sie nach Aufhebung der Einschränkungen wieder zur Schule gehen können.

"Die Eltern waren positiv überrascht, als sie die Nachricht hörten. Sie konnten nicht glauben, dass sie für die Nachhilfestunden zu Hause nichts bezahlen mussten", erinnert sich Alhassan.

Die Eltern waren sich einig, dass es nicht im Interesse ihrer Töchter wäre, als Kayayei zu arbeiten, und sie unterstützten die Mädchen dabei, wöchentliche Nachhilfestunden zu nehmen. Marthas Mutter, Ayisha, war froh, dass ihre Tochter weiter lernen konnte, anstatt arbeiten zu gehen. "Das Engagement kam zur rechten Zeit. Ich hätte Martha nicht erlaubt, in die Stadt zu gehen, wenn ich von den Aktivitäten von Right To Play in der Gemeinde gewusst hätte."

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Eine von Right To Play geschulte freiwillige Lehrerin überreicht Martha eine Schultasche und Lernmaterial, um sie auf die Rückkehr in die Schule vorzubereiten.

HOFFNUNG FINDEN UND MIT ANDEREN DIE LIEBE ZUM LERNEN TEILEN

Auch die Mädchen waren begeistert, dass sie am Unterricht teilnehmen konnten. "Als wir die freiwilligen Lehrer in unseren Häusern sahen, waren wir überzeugt, dass es möglich sein würde, wieder zur Schule zu gehen. Die Lehrer waren sehr hilfsbereit, sie brachten uns viele Dinge bei, unter anderem, wie man Vokale und Konsonanten benutzt."

Jetzt, wo die Schulen wieder geöffnet sind, sind die vier Freunde froh, wieder im Klassenzimmer sein zu können, mit ihren Mitschülern zu spielen und ihre Aufgaben ernst zu nehmen. Sie haben eine Kampagne gestartet, um andere Mädchen aus der Gemeinde davon abzuhalten, nach Accra oder in andere Städte zu gehen, um Kayayei zu werden. "Jedes Mal, wenn wir Freunde treffen, die wie wir planen, Kayayei zu werden, sagen wir ihnen, dass sie sich auf ihre Schulbildung konzentrieren sollen, da dies ein gutes Sprungbrett ist", sagt Martha.

"IMMER WENN WIR FREUNDE TREFFEN, DIE VORHABEN, IN DIE KAYAYEI ZU GEHEN, SAGEN WIR IHNEN, DASS SIE SICH AUF IHRE SCHULAUSBILDUNG KONZENTRIEREN SOLLEN, WEIL DAS EIN GUTES SPRUNGBRETT IST." – MARTHA

Die zusätzliche Lernunterstützung für Martha und ihre Freunde ist Teil des GREAT-Programms (Gender Responsive Education and Transformation), das dank der finanziellen Unterstützung der kanadischen Regierung durch Global Affairs Canada möglich ist. Das GREAT-Programm, das seit 2018 in Ghana, Mosambik und Ruanda aktiv ist, nutzt den spielerischen Lernansatz von Right To Play, um Bildungsbarrieren, insbesondere für Mädchen, zu beseitigen und die Kapazitäten der Lehrkräfte zu erhöhen.