Gewalt ist keine Lösung - Kyaws Geschichte
Eine Community in der Krise
Wir befinden uns in Mae La, Thailands größter Flüchtlingsunterkunft: Am Ende eines langen Schultages erhitzen sich die Gemüter und ein Missverständnis zwischen zwei Schülern führt zu einer lauten Auseinandersetzung. Die Wut kocht über in dem Jungen, der sich ungerecht behandelt fühlt, auf und er ist drauf und dran, den anderen zu verprügeln.
Doch so weit kommt es nicht. Kyaw, ein Mitschüler und Junior Leader im örtlichen Jugendclub, hat bemerkt, dass der junge Mann verärgert ist, und beginnt mit ihm zu reden. Kyaw spricht mit ihm über die Notwendigkeit, gute Entscheidungen zu treffen und Probleme friedlich zu lösen. Und der junge Mann hört ihm zu und entspannt sich. Er spricht mit Kyaw über seine Scham und Frustration und schon bald hat er das Kämpfen vergessen. Kyaw begleitet ihn aus der Schule und bleibt mit ihm im Gespräch – und als sie das Haus des jungen Mannes erreichen, lachen beide und sind fröhlich. Kyaw weiß ganz genau, wie es ist, von seinen Emotionen überwältigt zu werden. Doch er kann inzwischen gut mit ihnen umgehen. Er hat in einem Right To Play Leadership Club gelernt, über sich hinauszuwachsen und wurde so zu einem Friedensstifter und Vermittler für andere Jugendliche, die Hilfe brauchen.
Die Situation der Karen-Flüchtlinge ist verheerend
Mae La ist die Heimat von mehr als 50.000 Karen-Flüchtlingen, die vor der Verfolgung durch die Regierung in Myanmar geflohen sind. Insgesamt leben mehr als eine Million Karen als Flüchtlinge in Thailand. Die meisten von ihnen können aufgrund der anhaltenden Gewalt an der Grenze zwischen Myanmar und Thailand nicht nach Hause zurückkehren. Die Bedingungen sind hart – die meisten Flüchtlinge sind verarmt, und nur wenige dürfen das Lager verlassen, um zu arbeiten. Das Ergebnis ist eine bis zum Äußersten angespannte Gemeinschaft, die trotz der widrigen Umstände versucht, ihre Identität zu bewahren und an eine neue Generation weiterzugeben. Alkoholmissbrauch, häusliche Gewalt, Schlägereien und Kriminalität sind an der Tagesordnung. Da die Karen-Flüchtlinge der Polizei misstrauen, ist die Rolle von Mediatoren wie Kyaw von entscheidender Bedeutung.
Den Kreislauf der Gewalt durchbrechen
Für Kyaw ist das alles inzwischen Alltag. Er war zwei Jahre alt, als seine Eltern aus Myanmar nach Thailand geflohen sind. Seitdem lebt er hier, im Flüchtlingscamp Mae La. Die instabile Umgebung wirkte sich auf seine geistige und emotionale Gesundheit aus und er verlor zusehends die Hoffnung auf ein besseres Leben. Wutanfälle bestimmten zusehends seinen Alltag. Er zerschlug Dinge und verprügelte Menschen, und imitierte dabei eigentlich nur das Verhalten der Erwachsenen im Camp. Mit der Zeit richtete er seine Wut auch gegen sich und er fügte sich selbst Verletzungen zu. Alles in seinem Leben schien auseinanderzufallen oder eine Sackgasse zu sein.
Als Kyaw 17 Jahre alt war, gerieten er und sein Bruder in einen Streit. Kyaw verließ das Haus seiner Familie, blieb bei Freunden, lebte in einem Kreislauf aus Langeweile und Wut und begann die Schule zu schwänzen. Er wurde immer unglücklicher und dachte sogar an Selbstmord. Ein Freund überzeugte ihn schließlich, nach Hause zurückzukehren und wieder zur Schule zu gehen.
Sinn und Wertschätzung spielerisch entdecken
In der Schule schlug man Kyaw vor, sich in einem Junior Leadership Club zu engagieren, der durch das Programm Achieving Change Together (ACT) von Right To Play ins Leben gerufen worden war. Kyaw war sich nicht sicher, was ihn erwarten würde, doch schon beim ersten gemeinsamen Spiel war er überrascht. Es ging dabei darum, Probleme zu lösen und kluge Entscheidungen zu treffen, und das brachte Kyaw zum Nachdenken.
„Dieses Spiel hat mir geholfen, darüber nachzudenken, wie ich in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen habe. Es hat mir geholfen, die positiven und negativen Seiten von Situationen zu sehen und mich dazu gebracht, bessere Entscheidungen zu treffen. Ich habe gelernt, mich selbst und andere wertzuschätzen und meine Emotionen zu kontrollieren“, sagt Kyaw über dieses Spielerlebnis.
Von nun an ging er öfter in den Club und lernte, mit seinen Emotionen umzugehen, die Perspektiven anderer Menschen zu berücksichtigen und mit anderen Jugendlichen zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Er grübelte nicht länger sinnlos über die Ausweglosigkeit seiner Situation, sondern dachte darüber nach, wie er die Lektionen, die er in den Spielen lernte, in seinem eigenen Leben anwenden konnte.
Kyaw begann zu erkennen, dass er den Provokationen seines Bruders widerstehen konnte. Seine Beziehung zu seiner Mutter verbesserte sich. Statt auszurasten, wenn er wütend war, begann er, seine Emotionen in schwierigen Situationen zu kontrollieren und auch andere Menschen zu beruhigen. Seine Mutter war erstaunt über seine Veränderung. Bei einem Camp-Treffen, das im Rahmen von ACT organisiert wurde, erzählte sie allen: „Seit mein Sohn im Jugendclub ist, hat er sich total verändert. Ich bin so glücklich und so stolz auf ihn. Jetzt verbringt er die meiste Zeit damit, der Gemeinde zu helfen.“
"Jetzt verbringt er die meiste Zeit damit, der Gemeinde zu helfen.“ - Kyaws Mutter
Der Club gab Kyaw auch die Vision für ein größeres Ziel. Teil des ACT-Programms ist es, Nachwuchsführungskräfte in den Gemeinden auszubilden und Clubs einzurichten, in denen sie miteinander in Kontakt treten und voneinander lernen können. Die Junior-Leader helfen dann, den sozialen Zusammenhalt in ihren Gemeinden zu fördern, indem sie Eltern und Kinder zusammenbringen, um Zeit miteinander zu verbringen, jüngere Kinder zu betreuen, Aktivitäten wie kulturelle Festivals in den Camps zu organisieren und den Gemeindemitgliedern bei ihren Problemen helfen.
Das ACT-Programm zielt darauf ab, jungen Flüchtlingen zu helfen, sich sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen. Das Programm hilft ihnen, Lebenskompetenzen zu entwickeln, ermutigt sie, sich an Entscheidungsprozessen innerhalb ihrer Gemeinschaft zu beteiligen. Für einen jungen Mann wie Kyaw, der nach mehr als nur dem Überleben suchte, war diese Chance, sich aktiv an der Gemeinschaft zu beteiligen, einer der stärksten Anziehungspunkte für das Programm. Seit dem Beginn von ACT im Jahr 2017 ist als Ergebnis die Zahl der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen, die angeben, den Wert von sich selbst und anderen schätzen zu können, von 9 % auf 84 % gestiegen.
Die Kraft, die Gesellschaft zu verbessern
Kyaw hat inzwischen die 12. Klasse abgeschlossen und lernt in einer Berufsschulklasse. Er träumt davon, eines Tages Arzt zu werden. Er hilft auch weiterhin im Club, betreut jüngere Schüler und macht mit ihnen die gleichen Spiele und Aktivitäten, die ihm einst geholfen haben. Er weiß, dass sie jede Hilfe brauchen, die sie bekommen können, um die Herausforderungen in ihren schwierigen Lebensumständen zu meistern.
Kyaw und die älteren Mitglieder des Clubs versuchen auch weiterhin, Mae La zu einem besseren Ort zu machen, mit einem stärkeren Sinn für Gemeinschaft und soziale Verantwortung über alle Generationen hinweg. Sie setzen ihre Fähigkeiten ein, um Kämpfe zu verhindern oder zu beenden, um Gemeindemitgliedern in Not zu helfen und um zerstrittene Familien zu versöhnen. Das ist eine unglaubliche Herausforderung für junge Menschen, aber Kyaw ist davon begeistert.
„Ich bin motiviert, etwas im Leben anderer Menschen zu bewirken und Zeit mit der Gemeinschaft zu verbringen. Ich kann meinen Freunden, meiner Gemeinde und mir selbst helfen. Ich kenne jetzt meinen eigenen Wert und möchte etwas um mich herum verändern“, sagt er.